Es ist 16.55h und ich betätige die Klingel an der Klosterpforte mit gemischten Gefühlen. Werden meine Erwartungen an den Klosteraufenthalt erfüllt? Bin ich in der Lage mich ohne Peinlichkeiten den Riten des Klosters anzupassen? Was wird man von mir verlangen? Ich werde aus den Gedanken und Zweifeln gerissen, als sich die Tür, fast wie in Zeitlupe, öffnet. Für einen Bruchteil einer Sekunde verschlägt es mir die Sprache, dann nehme ich mich aber zusammen. “Guten Tag, Schwester, ich habe für 2 Nächte”, fast hätte ich gesagt “gebucht”. Wie peinlich wäre das wohl gewesen. Ich beende den Satz abrupt und beginne von vorne. “Guten Tag, Schwester, meine Name ist … Ich darf für 2 Nächte im Kloster schlafen”. Sie guckt mich an. War wohl auch nicht der korrekte Text, aber egal. Sie lächelt mich freundlich und verständnisvoll an. “Wir haben schon auf Sie gewartet. (Eigentlich gehört ein maßregelndes Ausrufezeichen, zurecht, an den Schluss dieses Satzes, aber so liebevoll, wie die Schwester das ausspricht, bin ich rehabilitiert, bevor ich schuldig gesprochen bin.) “Wir müssen uns etwas eilen, um 17.00h muß ich läuten”, sagt sie. “Läuten?”, denke ich. Was muss sie denn “läuten?”. Vielleicht habe ich aber aus etwas falsch verstanden?! Sie nimmt das Festnetztelefon von der Station und sagt “Ich zeige Ihnen jetzt Ihr Zimmer, den Parkplatz und die Tür, die 24 Stunden offen ist. Wir haben aber wenig Zeit”. Ich habe kaum Zeit mich richtig umzugucken, geschweige denn zu orientieren. Rechts führt ein längerer Gang, der zum Klosterbereich gehört, zur Kirche. Von Entree aus geht eine Holztreppe nach oben, rechts ist der Speisesaal für Übernachtungsgäste und die Nonnen. “Die Gäste sitzen an den Tischen mit den Kannen, gegessen wird um 18.30h”. Die Schwester erklärt mir in knappen Worten, aber sehr freundlich, was zu beachten ist. “Frühstück gibt es von7.00h bis 8.00h”. Wir laufen sehr zügig vom alten in den neuen Trakt, an großen Fernstern vorbei, die einen herrlichen Blick in die Ferne bieten aber auch den Blick in den Klosterhof und in das Klostercafe.
Ich habe auf kurze Dienstreisen immer alles in ein Flightcase bekommen – jetzt habe ich einen Koffer dabei und eine Aktentasche. Wieso? Nun ja, ich reise für 2 Nächte in ein Kloster. Ja, stimmt, eigentlich ist Askese angesagt, aber ich möchte ja auch ein paar Erinnerungen an die Tage behalten und habe deshalb alles eingepackt, inclusive Havarielösungen, falls ein Gerät seinen Dienst versagt. Ich habe schon seit Tagen alles ordentlich auf einem Sideboard gestapelt, von dem ich glaube, es ist für einen Klosteraufenthalt wichtig. Zum Beispiel:
Eine digitale Spiegelreflexkamera mit neuem 64 GB Chip (auf den passen eigentlich tausende von Fotos),
eine Digitalkamera, die ich problemlos in die Brusttasche meines Hemdes stecken kann, allerdings nur mit der halben Speicherkapazität der Spielgelreflexkamera,
16 Akkus, extra neu gekauft, 1 Batterieladegerät,
die über 600 Seiten dicke Biographie des Stones-Gitarristen Keith Richard, 1 Block, Stifte und natürlich Kleidung und meinen Waschzeugbeutel.
Die Schwester läuft recht schnell mit mir durch die Gänge und bald stehen wir vor dem Zimmer “Caspar”, einem der Drei Heiligen Könige. Sie demonstriert, wie das Türschließsystem funktioniert – hochmodern, mittel Code-Karte. Einfach an das Kästchen vor der Tür halten und “klack”, springt der Eingang zum Caspar-Zimmer auf. Schnell die Sachen abstellen, denn ich soll noch den Parkplatz, den Eingang dazu und die Tür gezeigt bekommen, die 24 Stunden geöffnet ist – wenn man im Besitz einer solchen Karte ist.
Wir plaudern in kurzen Sätzen, die deutlich kürzer sind, als die Schritte, die ich machen muß, um der Nonne zu folgen. Die Schwester guckt immer auf das Mobilteil des Telefons und mein mehrmals wiederholtes Angebot, die Rundführung doch zu verschieben, beantwortet sie mit dem Satz “nein, das ist nicht nötig, ich habe ja noch 4 Minuten (3 Minuten, 2 Minuten, 1 Minute) bis ich läuten muss”. Um 16.59h verabschiedet sie sich mit einem “Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt, wenn etwas ist, kommen Sie zu uns. Um 17.30h ist Vesper, und Abendessen ist um 18.30h”.
Sie lässt mich im Gang zurück, denn 17.00h muß sie der Umgebung mitteilen, dass 17.00h ist und die Glocken läuten, wie seit Gründung der Abtei. Ich schlendere nun durch die Gänge, gucke mir die Zimmernamen an, blicke aus dem Fenster und eine unglaublich wohlige, entspannte Stimmung vertreibt die Hetze des Tages und die ersten 4 Minuten im Kloster. Ich atme durch und stelle fest, wie toll doch die Entscheidung mit den 3 Tagen St. Hildegard war. Ich laufe zu “Caspar” meinem Zimmer. Als sich die Tür mit einem “klack” öffnet gehe ich angespannt in das Zimmer, hatte ich doch keine Zeit, mich beim Kofferabstellen richtig umzugucken.
Dusche und WC, ein Waschbecken, das ist das Bad. In einem kleinen Vorraum steht ein älterer Schrank, der Schlaf- und Aufenthaltsbereich besteht aus einem Holzsekretär, einem Stuhl, einem Sessel und einem 80cm Bett. In so einem schmalen Bett habe ich bestimmt 30 Jahre nicht mehr geschlafen. All das ist zu verkraften – aber nur ein Kopfkissen, das geht gar nicht. Ich bin gewohnt, mit zwei Daunenkissen zu schlafen und befürchte Schlimmes für die Nacht.
Ich gucke aus dem Fenster, das zum Innenhof geht und öffne es. Sanft plätschert der Brunnen. Das Geräusch hat etwas beruhigendes, was Wasser auch im Allgemeinen auf mich hat, egal ob ich meine Blicke drüber schweifen lasse oder dem Rauschen zuhöre.
Ich setze mich für einen Moment in den Sessel und genieße die Ruhe und das Gefühl die Entspannung regelrecht spüren zu können.
Der Blick auf meine Uhr sagt mir “Husch, husch, auspacken, in 10 Minuten ist Vesper in der Kirche”. Also packe ich schnell aus, Fotoapparate, Ladegerät und Akkus zuerst, erscheint mir das doch als das Wesentlichste im Moment. Die vollgeladenen Akkus packe ich sicherheitshalber noch mal ins Ladegerät, stecke die kleine Kamera in meine Brusttasche und verlasse das Zimmer Richtung Kirche. Ich gehe gemächlich, der Blick aufs Handy, das habe ich ja bei der Einführungsrunde gelernt, zeigt mir, ich habe noch 3 Minuten bis es 17.30h ist, so dass ich sogar noch Fotos vom Verbindungsgang und dem Speisesaal mache.
17.29h sitze ich in der Kirche und harre der Dinge, die mich erwarten. Ich schließe die Augen, atme tief ein und beginne wieder, die Ruhe zu spüren. Ein Gefühl, das ich in der Form, ich glaube tatsächlich, noch nie so intensiv wahrgenommen habe. Die Stille in der Kirche wird plötzlich durch leisen Gesang verschönert. Der Chor der Nonnen bietet dem Gast im Gotteshaus ein 30 minütiges Konzert, das teilweise von der Orgel begleitet wird. Es ist wirklich unbeschreiblich schön. Ich habe das Gefühl mein Körper hat jegliches Adrenalin verloren, die Endorphine haben das Kommando übernommen, angeregt von dem unglaublichen Klang der Stimmen des Chores. Ich genieße diese halbe Stunde sehr und bin überzeugt, dass ich eine Wandlung erlebe. Binnen einer Stunde von Hektik zu totaler innerer Entspannung – so fühlt es sich also an, wenn man entschleunigt ist, denke ich, als ich nach 30 Minuten die Kirche durch den Seitenausgang verlasse, der direkt ins Kloster führt.
Eigentlich will ich gar nicht zum Abendessen gehen, das Einzige, was ich will ist Ruhe, stelle ich fest. Mehr die Neugier, als der Hunger treiben mich also in den Speisesaal. Ich bin wohl der letzte Gast, der zum Essen kommt. 2 Tische a 6 Personen sind belegt, an dem dritten Tisch mit Kanne sitzt ein junger Mann.
Ich nehme mir einen Teller, eine Scheibe Brot, Butter und 2 Scheiben Käse und setze mich nach einem “Guten Abend” an den Tisch, der noch freie Plätze bietet. Da ich gar keine Lust auf reden habe, schweige ich vor mich hin und betrachte den Raum. Der junge Mann beginnt das Gespräch mit der Frage, wie lange ich denn bliebe. Er wird nur 2 Nächte bleiben, denn seine Eltern kämen am Tag darauf und sie wollten gemeinsam seine Patentante besuchen, die in der Abtei als Schwester lebt. “Mhm, erstaunlich”, denke ich, frage aber nicht weiter nach. Nachdem wir in paar Sätze gewechselt haben, kommt seine Patentante, eine der älteren Schwestern im Kloster (schätze ich) tatsächlich an unseren Tisch. Ich nutze die Gelegenheit und verabschiede mich, denn ich möchte noch spazieren gehen. Ich gehe noch kurz ins Zimmer, um den Fotoapparat zu holen und verlasse das Kloster auf dem “24 Stunden geöffneten Seiteneingang”.
Die Luft ist noch wunderschön warm, die Vögel zwitschern, als wollten sie dem Chor der Nonnen versuchen Paroli zu bieten. Die Schwestern sind konkurrenzlos, aber das Gezwitscher ist trotzdem wunderschön – Natur pur! Ich laufe fast 2 Stunden durch die Weinberge, mit ein paar Momenten der Rast auf verschiedenen Bänken und genieße die Blicke in die ganz besondere Weite.
Ich kann noch weiter als bis Frankfurt gucken, im Süden bis weit hinter den Donnersberg und im Westen bis zur Germania. Es ist wirklich unbeschreiblich. Um 21.15h gucke ich auf die Uhr und stelle fest, eigentlich müde zu sein. Aber wegen des nur einen Kopfkissens werde ich eine schlechte Nacht haben und beschließe, mich deshalb mich schon mal ins Bett zu legen, um sozusagen “vorzuschlafen”.
Um 21.40 gucke ich noch einmal auf meine Uhr, das nächste Mal als ich darauf gucke ist es 4.55h! Über 7 Stunden tief und fest geschlafen – trotz des fehlenden zweiten Kopfkissens – ich bin beeindruckt, wie schnell mich der Spirit im Kloster entspannt und freue mich sehr auf den vor mir liegenden Tag.
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