Ich hatte im Hunsrück im Wald zu tun und wollte bei dem herrlichen Wetter am Rhein entlang nach Hause fahren. Die Stimmung war super, die herrliche Hunsrück-Luft, der stahlblaue Himmel, die Burgen und der Rhein auf der rechten Seite und dazu noch tolle Musik im Auto, es ging mir stark untertrieben “gut”. Auf dem Weg zwischen St. Goar und Boppard sah ich plötzlich einen vermeintlichen Zimmermann, der in seiner traditionellen Tracht, wohl auf der Walz, am Rhein entlang wohin auch immer lief. Zeit hatte ich eigentlich keine, aber die Neugier, mir einen “Walz-Er” mal aus der Nähe zu betrachten und mit ihm zu sprechen, ließ den Zeitdruck aus meinen Gedanken schwinden. Ich hielt neben dem Gesellen und fragte ihn, wohin er denn wolle. “Nach Koblenz” war seine Antwort. “Ok, wenn sie möchten, kann ich Sie bis nach Boppard mitnehmen”, antwortete ich. Freudig stieg er ins Auto, denn die 10 km im Auto fahren anstatt zu laufen, ist ja auch deutlich stressfreier.
Er stellte sich vor: “Ich bin der Oli, ich bin auf der Walz”. “Dachte ich mir, antwortete ich”, “man sieht ja nur noch selten Zimmermannsleute auf der Walz” fuhr ich fort. “Ich bin auch kein Zimmermann”, entgegnete Oli, ” ich bin Kunstgießer.” “Kunstgießer?, was ist das denn? Was macht denn ein Kunstgießer?”, wollte ich wissen. Und es begann ein hochinteressantes Gespräch, dass ich nicht nach wenigen Kilometern beendet wissen wollte. Ich fragte deshalb Oli, ob er mir nicht bei einem Essen etwas über seinen Beruf und die Walz, auf der er sich befindet, erzählen wolle. Er stimmte dem Vorschlag zu, ich freute mich auf das Gespräch und hatte längst vergessen, dass ich eigentlich zum Kaffee zuhause sein wollte.
Wir setzten uns in Boppard in ein Cafe und Oli erzählte mir alles, was ich wissen wollte und darüberhinaus noch Dinge, die ich wissen sollte. Sein Erzählstil wäre eigentlich ein Hörspiel wert gewesen, aber mir fehlte die Technik dazu, also notierte ich alles auf einem kleinen Bestellblock, den mir der freundliche Wirt inklusive eines Kugelschreibers zur Verfügung stellte.
Oli ist ein “Fremder” auf der Walz als Kunstgießer im “Freien Begegnungsschacht”. Diese Vereinigung ist recht jung, es gibt sie erst ca. 30 Jahre. Es ist eine “Reisevereinigung”. Wer nun bei Wikipedia nach “Freier Begegnungsschacht” sucht, findet diese Antwort:
“Der Artikel „Freier Begegnungschacht“ existiert in der deutschsprachigen Wikipedia nicht. Du kannst den Artikel erstellen (Anleitung).
Wenn dir die folgenden Suchergebnisse nicht weiterhelfen, wende dich bitte an die Suchhilfe oder suche nach „Freier Begegnungschacht“ in anderssprachigen Wikipedias.
Zu deiner Suchanfrage werden keine Ergebnisse gefunden.”
Ich weiß, Dank Oli, mehr als Wikipedia und ich freue mich, dass ich dieses Wissen über meinen Blog weiterverbreiten kann. So, nun aber zum eigentlichen Kern:
Wandergeselle kann jeder werden, auch ohne Zugehörigkeit zu einem “Schacht”, von denen es 7 verschiedene gibt. Jeder “Schacht” hat seine eigenen “Gesetze”, Grundlegendes ist aber für alle gleich.
Bis ca. 1840 war die Walz für alle Handwerker Pflicht, die Wanderschaft dauerte durchschnittlich 3 Jahre. Heute ist es jedem selber überlassen, ob er nach der Ausbildung auf die Walz möchte, die dann aber auch länger als die Ausbildung, also mindesten 3 Jahre und 1 Tag dauern muss. Oli’s “Schacht” umfasst zur Zeit 28 “Fremde”, also Handwerker, die die 3 Jahre Wanderschaft noch nicht abgeschlossen haben und ca.150 “Einheimische”,also Handwerker, die erfolgreich die Wanderschaft abgeschlossen haben. Im “Freie Begegnungsschacht” können alle Handwerker eintreten, auch Frauen sind Mitglieder. Sie sprechen sich mit “Bruder” bzw. “Schwester” an. Oli hat bei einem “Einheimischen” Kunstgießer in Berlin Charlottenburg, der Firma Herrmann Noack, gelernt, bei der sehr viele renommierte Künstler die Gipsformen von ihren Skulpturen herstellen lassen. Das angelieferte Material kann aus Holz, Styropor,Metall oder Ton sein. Die Form zur Vervielfältigung der Skulptur wird entweder aus Sand oder Gips-Schamott hergestellt.
Oli hatte die Nacht zuvor bei einem Bauingenieur verbracht, den er in einem Lokal kennengelernt hat. Auf der Walz kann es den Wanderern auch schon mal passieren, dass sie unter freiem Himmel schlafen müssen, wenn sie kein Quartier finden, bei Oli, der nun seit 8 1/2 Monaten unterwegs ist, war das zuletzt glücklicherweise erst im vergangenen November gewesen. Er übernachtet häufiger in Pfarrhäusern, die ihm für eine Nacht schon mal ein Quartier geben. Was er in den verbleibenden gut 27 Monaten macht, weiß er noch nicht. Zur Zeit ist er für 6 Wochen in Straubing bei einer Firma, von denen aber bereits 3 Wochen vorbei sind. Oli mag die Walz sehr, denn er lernt kulturell, beruflich und zwischenmenschlich Dinge, die er niemals erleben würde, wäre er weiterhin in einem festen Arbeitsverhältnis geblieben. Er ist deshalb auf dem Weg von Straubing nach Koblenz, weil dort heute die Abschiedsfeier eines Schreiners aus seinem Schaft ist. Montag tritt er dann die Rückreise nach Straubing an, zu Fuß und als Anhalter.
Ende März wird einer seiner Besten Freunde, der aus Döbeln in Sachsen kommt,, auch auf die Walz gehen. Dieser ist allerdings in einem anderen Schacht. Er ist Klempner und hat sich für die “Gesellschaft der rechtschaffenden Maurer- und Steinhauergesellen” angeschlossen, in der nur Bauhandwerker Mitglied werden dürfen. Dieser “Schacht” ist bereits über 200 Jahre alt! “Schächte” sind im übrigen auch die Vorläufer der Gewerkschaften. Hatte eine Firma beispielsweise 1 Meister, 3 Gesellen und 10 Wandergesellen, so konnten sie gemeinsam den Meister unter Druck setzen, um bessere Arbeitsbedingungen oder mehr Lohn zu erhalten. Andererseits würden sie, vornehmlich die Wandergesellen, sonst weiterziehen, was für den Meister Probleme mit sich bringen könnte, beispielsweise das Nichteinhalten von Fristen.
Jeder Wandergeselle hat einen Ohrring. Früher waren diese aus Gold, denn starb man in der Fremde, so konnte durch Verkauf des Ohrrings wenigstens eine vernünftige Bestattung durchgeführt werden.
Das Ohrloch für den Ohrring wird mittels eines ca. 20 cm langen Nagels gestochen. Dies wird meist im “St. Pauli Eck” in Hamburg vorgenommen. Das Ohr wird so auf einen Tisch gelegt, dass man mit dem Nagel das Loch für den Ohrring schlagen kann. Den Kopf des “Deliquenten” hält Brigitte, die Wirtin fest- eine anscheinend sehr martialische Tradition. Bevor man auf die Walz geht, muss man einige Versprechen abgeben, bricht man eines dieser Versprechen, dann bekommt man den Ohrring rausgerissen und ist von dann an ein “Schlitzohr”!
Entschließt man sich auf die Walz zu gehen, braucht man zunächst einen Wandergesellen, der sich bereiterklärt, einen mitzunehmen. Diese Patenschaft dauert ca. 3 Monate, in denen der “neue” Wanderbursche feststellen kann, ob ihm die Wanderschaft überhaupt liegt, und sein Mentor kann in der “Probezeit” den Charakter und den Willen des “Mitläufers” nachhaltig überprüfen. Erst nach den 3 Monaten wird eine Empfehlung des Paten auf Aufnahme oder Ablehnung ausgesprochen.
Grundvoraussetzung für die Aufnahme sind:
Gesellenbrief
Schuldenfrei sein (ebenso von Ehrenschulden)
Kinderlos
unverheiratet
nicht vorbestraft
eine weiße Weste haben.
Während der Walz muß der Wanderbursche eine Bannmeile von 50km um seinen Wohnort und um seinen Ausbildungsort beachten. Das heißt, der darf sich nicht innerhalb dieses Kreises bewegen.
Natürlich ist Oli auch krankenversichert. Seine KK hat ihm für die Dauer der Walz ein “Sonderangebot” gemacht, so dass dies sein kärgliches Budget nicht zu stark belastet.
Auf der Walz dürfen keine modernen Kommunikationsmittel mitgenommen werden, so dass Oli eigentlich kaum Nachrichtern hört. Das hat für ihn, wie er mir erzählte, den großen Vorteil, dass er nicht ständig die schlechten Nachrichten hören muss.Er ist überzeugt, dass die Welt viel besser ist, als das, was man ständig in den Nachrichten hört und liest. Er genießt den respektvollen Umgang, den die meisten seiner Mitmenschen ihm entgegenbringen, natürlich sehr.
Auch hat die Kleidung der “Walz”-Gänger, die “Kluft”, die 1880 eingeführt wurde, ihre Besonderheiten.:
Die Weste hat 8 Knöpfe, sie stehen für den 8 Stunden-Arbeitstag
Das Jackett hat 6 Knöpfe, die die 6 Arbeitstage symbolisieren
An den beiden Ärmeln sind jeweils 3 Knöpfe angenäht, die für 3 Lehr- und 3 Walzjahre stehen.
Die Knöpfe sind aus echtem Perlmutt, die früher noch als “Notgroschen” hätten verpfändet werden können.
Der Schwarze Hut, den die Wanderburschen tragen, stammt noch aus der Zeit, als der schwarze Hut Symbol des “Freien”-Mannes war, Männer, die einen Lehensherren hatten, durften diesen Hut nicht tragen. Der Hut wird nur in der Kirche und vor dem Essen gezogen – aus Achtung vor Beidem!
Das Bündel, beinhaltet:
Arbeitskluft
Werkzeug
Wechselkleidung
Wasserflasche
Der Binder steht für die Ehrbarkeit und wird nur an Wanderburschen gegeben, die alle Vorgaben des Schaftes erfüllen. Die Anstecknadel auf dem Binder zeigt das Zunftzeichen.
Alles, was im Bündel mit sich getragen wird, ist in “Charlottenburger Tüchern” eingewickelt. Die Tücher haben ihren Namen daher, dass in Charlottenburg eine Ungeziefer-Plage war und Jedermann, bevor er in die Stadt gehen durfte, alle seine Habseligkeiten zunächst in diese Tücher wickeln musste. Dadurch konnte man der Ungezieferplage Herr werden.
Der gedrehte Wanderstock, der Sterz, war einst auch als Verteidigungswaffe einzusetzen. Die eigenartige Drehung verdankt er der Schmarotzerpflanze “Geisblatt”, die den Baum so eng einschnürt, dass eine solche Form entsteht. Oli’s Sterz ist aus Traubenkirsche, es kann aber auch jeder andere Baum dafür verwendet werden.
Adolph Kolping war gelernter Schuster, der auf auf Wanderschaft war. Da er diese beschwerlichen Jahre kannte, hatte er als Theologe verfügt, dass jedem Handwerker, der auf der Walz ist, eine kostenlose Herberge tur Verfügung gestellt werden muss.
Oli wird im Juni mit seinem Straubinger Meister nach Riga reisen. Von dort aus möchte er nach St. Petersburg und Westrussland laufen/fahren, um dann nach ein paar Wochen wierder in die EU zurückzukehren.
Das waren die vielen, wie ich finde, interessanten Informationen, die mir Oli in knapp einer Stunde gegeben hat und ich hoffe, ich habe alles richtig wiedergegeben.
Dir ,lieber Oli ,möchte ich, falls Du irgendwann mal diesen Blog liest, sehr herzlich für das informative Gespräch danken und würde mich sehr freuen, wenn wir es fortsetzen könnten.
Oli mit Bündel in seiner Kluft
Sein Bündel mit Sten und Charlottenberger Tüchern
Der schwarze Hut
Die Kluft und die Knöpfe
Der Binder und das Zunftabzeichen
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Sehr interessant. Schön, dass diese Tradition noch gelebt wird. Gute Uebung für Toleranz – sollte jeder mal machen, der die Möglichkeit dazu hat.
Rechtschaffene Leute, die auf die Walz gehen! Respekt!
Viel Glück auf dem weiteren Weg, Oli!
Hallo finde das super!! Habe ein Jobangebot, für dich oder auch andere Wandergesellen!!! in A-2453 Sommerein. Festanstellung erwünscht…ettliche Aufträge.Tischlerei,Holzgroßhandel,Hobelwerk bitte um Antwort mfg cle
Lieber Clemens, vielen Dank für Deinen Kommentar. Da Oli kein Handy auf der Walz dabei hat, kann es dauern bis er sich meldet.
Liebe Grüße
Lieber taletekk!
Mit Oli hast du einen der unterhaltsamsten Menschen getroffen, die ich kenne. Deine Umschreibungen treffen es auf den Punkt, toller Artikel. Auch die Fotos sind großartig!
Ich freue mich sehr, Oli Ende März wiederzusehen. Wir telefonierten letztens auf Grund von Nachwuchs unsererseits, daher auch meine Kenntnis über den Besuch! 😉
Werde ihm das hier zeigen, falls er es noch nicht gesehen hat.
Ich denke, du hast gute Chancen Oli nochmal wieder zu treffen in den nächsten 2,5 Jahren.
Grüße aus Leipzig
Lieber Peter,
vielen Dank für Deine Nachricht. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich Oli wiedertreffen würde und über den Verlauf seiner Walz einen weiteren Blog schreiben könnte.
Liebe Grüße
Hallo lieber Taletekk, ich habe mich riesig über den Eintrag gefreut.Oli ist mein Sohn, auf den ich unbändige stolz bin.Es ist für mich nicht einfach ,so wenig von ihm zu hören, drum war ich so glücklich über ihn zu hören und ihn zu sehen. LG aus Herzberg an der Elster von Anita
Liebe Anita,
vielen Dank für deinen Kommentar. Du kannst sehr stolz auf deinen Jungen sein. Sehr sympatisch und zielstrebig! Ich würde mich sehre freuen, wenn er sich bei mir melden würde, um das Gespräch fortzusetzen.
Viele Grüße
Hallo zusammen,
ich bin zufällig über diesen Block gestolpert, weil ich ihn gestern (14. April 2016) einen Kunstgießer auf der Walz ein paar Kilometer mitgenommen und natürlich gleich mal gegoggelt habe. Und was soll ich sagen: Es war tatsächlich Oli!
Klasse, was taletekk alles berichtet – ich konnte auf der relativ kurzen Fahrt nicht ganz so viel erfahren – daher ist es klasse, auf diese Weise noch etwas mehr über Oli und die Walz zu erfahren.
Ich finde es echt toll, dass es diese Tradition und v. a. Typen wie Oli noch gibt!
Zu Oli:
Wirklich ein sympatischer Typ! Es geht ihm soweit ich das beruteilen kann sehr gut.
Er ist aktuell in Rottweil (Stichwort für Oli: “Aufzugtestturm” – 244m 😉 ), möchte heute weiter nach Ravensburg und später (wie oben schon erwähnt) von Straubing aus mit einem seiner letzten Arbeitgeber weiter nach Riga.
Oli, falls Du das mal irgendwann liest: Ich wünsche dir alles Gute – war toll, Dich kennengelernt zu haben!
Gruß aus dem Schwarzwald!
Claudius
Lieber Claudius,
vielen Dank für deinen Bericht. Es freut mich sehr (und Oli’s Mutter mit Sicherheit noch mehr), dass es ihm gut geht.
Viele Grüße
Hallo taletekk,
es gibt Neuigkeiten von Oli zu berichten. Er hat gestern unsere Tochter Claudia losgebracht. Von Müncheberg OT Dahmsdorf sind sie in einer Gruppe von 9 Wandergesellen Richtung Waldsieversdorf aufgebrochen. Wir können 100% bestätigen, dass Oli ein sympathischer, charismatischer und sehr interessanter Mensch ist. Für unsere Tochter hätten wir uns keinen besseren Altgesellen wünschen können. Wir vertrauen ihm voll und ganz, schließlich haben wir ihm das Wertvollste mitgegeben, was wir besitzen.
Das gleiche können wir auch von allen Wandergesellen und Wandergesellinnen sagen, die wir am vergangenen Wochenende kennenlernen durften. Wir haben begeistert ihren spannenden Erlebnissen gelauscht und sie alle in unser Herz geschlossen. Toll, dass sie die alten Traditionen weiterleben lassen und uns beweisen, dass man auch ohne Luxus und Technik glücklich sein kann. Und solange unsere Kinder glücklich sind, sind auch wir Eltern glücklich.
Herzliche Grüße von Sven und Jenny Petersen
Liebe Familie Petersen,
vielen Dank für Ihren Bericht. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir weiter in Kontakt blieben, um zu hören wie es mit Oli und mit Ihrer Tochter weitergeht.
Herzliche Grüße