Seit langem beobachte ich in der Presse die Aktionen der “Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Umweltschäden durch die Bahn e.V.” gegen den Lärm und die Erschütterungen durch den ständig anwachsenden Schienengüterverkehr im Rheingau und dem Mittelrheintal.
Willi Pusch, der eigentlich aus Duisburg-Wedau stammt und dessen Eltern viele Jahre die Gastronomie auf der Sterrenberg, eine der beiden Burgen “Feindliche Brüder” geführt haben,ist Gründungsmitglied und Vorsitzender der 1994 gegründeten Bürgerinitiative, die seit 1996 als gemeinnützig anerkannt ist.
Er hat uns in einem Gespräch über den Stand der Lärmreduzierung auf der am stärksten befahrenen Eisenbahnstrecke Europas zwischen Genua und Rotterdam informiert, die auch durch das Nadelöhr im Rheingau und das als Weltkulturerbe anerkannten Mittelrheintal führt.Es ist beeindruckend, mit welcher Sachkenntnis Herr Pusch und die Mitglieder der Bürgerinitiative mittlerweile in Gesprächen mit Vorständen der Deutschen Bahn und der Politik argumentieren können, sodass sogar eine Kehrtwende hinsichtlich der Lärmemissionen in Sicht ist. Der ständig ansteigende Bahnverkehr und hier insbesondere der Gütertransport auf der Schiene, stellten eine immer stärker werdende Belastung der Anwohner des Mittelrheintals und des Rheingaus dar.Da weder die Politik noch der Vorstand der Deutschen Bahn sich um die Probleme der Bürger in diesem Rheinabschnitt nachhaltig kümmerten, wurde die Bürgerinitiative gegründet, die mittlerweile über 1000 Mitglieder zählt. Namhafte Politikerinnen und Politiker des Bundes, der Länder Rheinland-Pfalz und Hessen und viele Kommunen im Rheingau und im Mittelrheintal haben sich der Initiative angeschlossen.Im Bundestag wurde eine parlamentarische Gruppe „Schienenlärm“ gegründet, zu der derzeit 120 Mitglieder gehören. Tendenz steigend.
Anfang der neunziger Jahre begann die Bürgerinitiative sich verstärkt über die Presse an die Öffentlichkeit zu wenden. Dazu wurden Bundestags- und Landtagsabgeordnete aber auch Europaparlamentarier eingeladen, um sie vor Ort unmittelbar mit der unmenschlichen Situation zu konfrontieren.Der damalige Verkehrsminister Franz Müntefering kam 1998 auf Einladung der Bürgerinitiative ins Mittelrheintal und erkannte die großen Probleme der Anwohner und des Tourismus durch Lärmbelastungen. Er versprach den Bau von bis zu 2 Meter hohen Lärmschutzwänden, die mit bis zu 75% der Kosten subventioniert werden sollten. Obwohl das Versprechen eingehalten wurde, stellte sich bald heraus, dass diese Maßnahme bei weitem nicht den gewünschten Erfolg brachte. Auf Grund des beträchtlichen Höhenunterschieds von mehreren zehn Metern innerhalb der Ortschaften konnte demnach ausreichender Lärmschutz mit einer durchgängigen Lärmschutzwand nicht erreicht werden.
In den 90iger Jahren wurden die Holzschwellen gegen Betonschwellen ausgewechselt. Wohlwissend, dass diese Maßnahme die Erhöhung des Lärms um 3 Dezibel und die Übertragung von Vibrationen zur Folge haben würde, nahm die Bahn das bewusst zu Lasten der Bevölkerung in Kauf. Die vielen kleinen Brücken, die man als Außenstehender kaum wahrnimmt, litten sehr stark unter den Erschütterungen und liefen Gefahr zu erodieren. Um diesen Zerstörungsprozess aufzuhalten wurden die Betonschwellen über den Brücken wieder durch Holzschwellen ersetzt.
Da der damalige Vorstandsvorsitzende der Bahn Hartmut Mehdorn 2012 bei einer Ortsbesichtigung des Mittelrheintals die Gewinnmaximierung der Güterbahn höher einstufte als die berechtigten Interessen der Bevölkerung zur Reduzierung des Lärms und der Erschütterungen, verfiel er auf die absurde Idee, die besonders betroffenen Ortschaften “Abzusiedeln”. Also das Rheintal zu einem reinen Frachtkanal zu missbrauchen. Das hätte im Klartext bedeutet: „ Die Bahn kauft die Häuser. Die Bewohner werden vor die Tür gesetzt und die Immobilien bleiben leer stehen.“ Dieses unglaubliche Ansinnen sorgte verständlicherweise für große Empörung.
Am 25.2.2010 legten die Länder Hessen und Rheinland-Pfalz in Mainz ein gemeinsames “10-Punkte-Programm Leises Rheintal” vor, das in einer gemeinsamen, parteiübergreifenden Arbeitsgruppe für mehr Lärmschutz, mit maßgeblicher Beteiligung der beiden links- und rechtsrheinischen Bürgerinitiativen „Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Umweltschäden durch die Bahn e.V.“ und „Pro Rheintal“, erarbeitet worden war. In der Folge und nicht zuletzt wegen des ständig anhaltenden Drucks und der konstruktiven Forderungen der Bürgerinitiativen erklärte sich der Vorstandsvorsitzende der Bahn, Dr. Rüdiger Grube, bereit, einen Projektbeirat ins Leben zu rufen. Das mit hochrangigen Vertretern aus der Führungsebene der Bahn, dem Bundesverkehrsministerium, Abgeordneten des Bundestags, der Ministerien für Umwelt, Wirtschaft und Verkehr der Länder Hessen und Rheinland-Pfalz, des Welterbekomitees sowie Vertretern der Bürgerinitiativen besetzte Gremium trat erstmals am 7.12.2012 in Kamp-Bornhofen im Beisein der Presse im “Hotel Becker” zusammen.
Dieses Treffen war sozusagen der Startschuss vieler weiterer, sehr konstruktiver Zusammenkünfte. Die Reputation und Glaubwürdigkeit der Bürgerinitiativen bei Spitzenpolitikern und dem Bahnvorstand führten dazu, dass sie heute in viele Entscheidungsfindungen eingebunden sind. In diesem Zusammenhang kann man auch den Koalitionsbeschluss der derzeitigen Großen Koalition betrachten, der bis Ende 2016 die Umrüstung der Hälfte und bis 2020 alle auf deutschen Schienen verkehrenden Güterzüge (Ca. 60.000 Güterwaggons der Deutschen Bahn und rund 120.000 Bestandgüterwagen anderer Wagenhalter (in- und ausländische Wagenvermieter und Bahnen) auf leise Bremssysteme verlangt, da ansonsten Sanktionen wie z.B. Geschwindigkeitsreduzierungen oder Nachtfahrverbote drohen.
Bis 2020 sollen schließlich analog der Schweiz überhaupt keine lauten Güterwagen mehr auf deutschen Schienen unterwegs sein. Alle technischen Möglichkeiten zur Umrüstung und zum Erreichen der gesteckten Ziele müssen genutzt werden. Die Zeit drängt, da bereits Mitte 2016 der St. Gotthard-Basistunnel seine Pforten öffnet und damit den Güterverkehr nochmals um ca. 30 Prozent verstärkt wird. Es gibt also für die Bahn und die private Transportwirtschaft in den verbleibenden weniger als 4 Jahren noch viel zu tun.
An 8 Messstationen im Mittelrheintal und im Rheingau werden die Lautstärken der Züge gemessen. Auch diese Maßnahmen tragen dazu bei, die realen Lärmbelastungen öffentlich zu machen, um sie gegebenenfalls abzustellen. Oberstes Ziel muss es aber sein, den Schienengütertransitverkehr mit seinen Gefahrgütern komplett aus dem Rheintal zu verbannen. Deshalb ist der Bau einer reinen Gütertransportstrecke, außerhalb der von Menschen bewohnten Quartiere alternativlos. Derzeit sind vier Umgehungsstrecken für den im 15jährigen Turnus zu erstellenden Bundesverkehrswegeplan 2015 angemeldet. Er soll in absehbarer Zeit veröffentlicht werden. (Wahrscheinlich aber erst nach der Wahl). Angemeldet sind drei oberirdische Lösungen. Eine Variante entlang der A 3, ICE Strecke Frankfurt Köln, die vorhandene Eisenbahn der „Eifelstrecke“ Köln-Bitburg-Trier-Saarbrücken-Mannheim und eine entlang der A 61. Bei der vierten Variante handelt es sich um eine Tunnellösung, den sognannten Westerwald- Taunus-Tunnel, der von St. Augustin bei Bonn bis hinter Wiesbaden geführt werden soll. Es handelt sich um ein Tunnel-System mit mehreren Unterbrechungen durch den Westerwald und den Taunus. Ob eine der Varianten zum Zug kommt und wenn ja, welche, wird sich nach Bekanntgabe des Bundesverkehrswegeplans zeigen.
11 Millionen Container müssen auf jeden Fall aus den Seehäfen Rotterdam, Hamburg, Antwerpen und Bremerhaven jährlich durch Deutschland verschickt werden. Hierzu ist eine exakte Planung notwendig. Die Tunnellösung könnte die Strecke um 50 km verkürzen, was für den Güterverkehr nicht unerhebliche Verbesserungen der Transportzeit und damit Einsparungen bedeuten würde.
Sollte jedoch keinerlei Umgehung verwirklicht werden, so kann es über kurz oder lang auch im Rheintal zu einer Katastrophe wie zum Beispiel in Elsterwerda am 21.11.1997, in Viareggio am 22.06.2009 oder im Müllheim Baden am 17.07.2011 kommen. Dort ereigneten sich in allen Fällen schwerste Unfälle mit Kesselwagen. Das jeweilige Desaster vor Ort ist im Internet über „Zugunfall Elsterwerda“, „Zugunfall Viareggio“, „Zugunfall Müllheim Baden“ zusehen.
Dieser Zugunfall dürfte vielen noch im Gedächnis sein:
vor nunmehr 31 Monaten, am 9. Juni 2013, einem Sonntag, gegen 05:20 Uhr, waren die letzten vier Wagen eines 620 Meter langen und 750 Tonnen schweren Autotransportzuges der Wiener Lokalbahn Cargo GmbH auf der rechten Rheinseite kurz hinter Lorch (Rheingau) entgleist und wurden rund elf Kilometer mitgeschleppt, bevor der Zug im Bahnhof Rüdesheim (Rhein) angehalten wurde. Der Zug war auf einer Leerfahrt von Emmerich am Rhein nach Passau unterwegs. Er hinterließ an den Gleisanlagen erhebliche Schäden. Auf die Fahrbahn der parallel verlaufenden Bundesstraße 42 wurden über mehrere Kilometer Schottersteine geschleudert. Im Gleisbett durchtrennten die entgleisten Waggons Kabel, zerstörten Kabelschächte des Elektronischen Stellwerks, beschädigten Weichen, fuhren Signalmasten um und zerstörten Schwellen und Geländer. Im Bahnhof Rüdesheim wurde das Einfahrsignal mitgerissen. Bei der Durchfahrt durch Assmannshausen wurden durch umherfliegenden Bahnschotter Fensterscheiben etlicher dicht neben den Gleisanlagen stehender Häuser und parkende Autos beschädigt. Personen kamen bei dem Unfall nicht zu Schaden. Bis 11.30 Uhr war der Straßenverkehr gesperrt, damit die Straßenmeisterei mit Räumfahrzeugen den Schotter von der Fahrbahn räumen konnte. Der Schienenverkehr auf der rechten Rheinstrecke war bis zum 16. Juni 2013 vollständig eingestellt. Zwischen Rüdesheim und Kaub musste ein Schienenersatzverkehr eingerichtet werden. Ab 17. Juni stand zwischen Kaub und Geisenheim für den Zugverkehr nur ein Gleis zur Verfügung. Inzwischen ist die stark beschädigte Strecke aufwendig in Stand gesetzt worden. Personen- und auch Güterzüge werden seither wieder ohne Einschränkungen in vollem Umfang über die Strecke geführt. Das ist umso erstaunlicher, da die Ursache der Entgleisung bisher offenbar nicht geklärt ist oder aus welchen Gründen auch immer in der Bevölkerung nicht kommuniziert wurde.
Die Bürgerinitiative hat am 3.1.2016 bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Wiesbaden Strafanzeige gegen Unbekannt eigereicht. Begründung: Da es sich bei dem vorgenannten Sachverhalt u.a. um die Straftat eines gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr und wegen der Hindernissbereitung auf der parallel verlaufenden Bundesstraße 42 durch Schotterflug um einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gem. dem Strafgesetzbuch handeln könnte, wird die Staatsanwaltschaft um Prüfung und weitere Veranlassung gebeten, bevor wegen der unangemessen lange hinausgezögerten Aufklärung des Unfallgeschehen die Verjährung droht.
Hier ein paar Fots von dem Unfall:
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